Besetzungen in Zürich: Tolerieren oder hart durchgreifen?

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Seit dem Wochenende ist die alte Post in Wipkingen besetzt und jetzt ist auch das Alba Festival auf der Hardturm-Brache in Gefahr. Denn auf dem freien Gelände, wo das Festival stattfinden sollte, haben Linksautonome einen Wagenpark eingerichtet – geduldet von der Stadt Zürich. Ist die städtische Besetzungspolitik zu tolerant? Sollen die Besetzerinnen und Besetzer weichen oder müssen sich die Veranstalter des Alba Festivals arrangieren? Die kontroverse Diskussion live im «TalkTäglich».

Hier die ganze Sendung schauen: https://tv.telezueri.ch/talktaeglich/besetzungen-in-zuerich-tolerieren-oder-hart-durchgreifen-151768089 

Avdili: Jetzt gilt es, diese Reihen zu schliessen

Përparim Avdili, der Präsident der Stadtzürcher FDP, will mit seiner Partei trotz der umstrittenen Listenverbindung mit der SVP für die nationalen Wahlen im Herbst geeint in den Wahlkampf. Nun gelte es, die Reihen zu schliessen und das Beste für die FDP herauszuholen, wie er als Wochengast sagt.

Hier den Beitrag hören: https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/avdili-jetzt-gilt-es-diese-reihen-zu-schliessen?id=12410434 , Beitrag von Përparim Avdili ab 3:30 bis 21:40.

Das Giesskannenprinzip bringt nichts- Anständige Arbeit soll anständig bezahlt werden.

«Das Giesskannenprinzip bringt nichts» – «Anständige Arbeit soll anständig bezahlt werden»

2. Juni 2023 um 06:00 geschrieben von Lara Blatter

Die Stadtzürcher Stimmberechtigten entscheiden am 18. Juni über die Einführung eines Mindestlohns. Im Streitgespräch erklärt Gewerkschaftssekretär Björn Resener, warum Zürich einen Mindestlohn braucht. FDP-Präsident Përparim Avdili hält dagegen: Der Mindestlohn schade der Wirtschaft.

blankFDP-Präsident Përparim Avdili (links) und Gewerkschaftssekretär Björn Resener im Streitgespräch. (Foto: Lara Blatter)

Lara Blatter: Wie viel verdienen Sie?

Björn Resener: Aktuell verdiene ich brutto rund 7900 Franken.

Përparim Avdili: Meinen Lohn will ich nicht teilen, denn dieser tut nichts zur Sache.

Der geforderte Mindestlohn von 23.90 Franken pro Stunde entspricht bei einer Vollzeitstelle einem monatlichen Bruttoeinkommen von 4000 Franken. Würden Sie damit auskommen?

Avdili: Nein. Aktuell lebe ich alleine und bezahle alle meine Rechnungen selbst, da geht das nicht. Aber als ich jünger war und mit den Eltern zusammen im Familienhaushalt lebte, wäre das mehr als genug gewesen.

Resener: Als Vater von zwei Kindern, würde ich davon nicht leben können. Aber auch ohne Kinder wäre es schwierig, als erwachsener Mensch in Zürich mit 4000 Franken auszukommen.

Wer bezahlt denn heute noch Löhne, von denen man in Zürich nicht leben kann?

Avdili: Betroffen sind beispielsweise die Reinigungs- und Gastrobranche oder einige Jobs, die sich an Studierende richten. Oft sind es Einsteiger:innen oder Menschen ohne Ausbildung.

Resener: Dass vor allem Studierende in ihren Zwanzigern so wenig verdienen, stimmt nicht. Zwei Drittel der Menschen, die weniger als den geforderten Mindestlohn verdienen, sind älter als 30 Jahre alt, heisst, sie sind erfahren und stehen mitten im Berufsleben. Eine gelernte Coiffeuse im dritten Berufsjahr, Detailhändler:innen bei grossen Ketten wie Zara, Verkäufer:innen bei McDonalds, Reinigungskräfte – sie alle verdienen nicht 4000 Franken.

Avdili: Dazu gehören aber auch Menschen, die gar nicht mit dem Gedanken in einen Job gehen, dass sie mehr verdienen wollen. Sie leben in einem wohlhabenden Haushalt und wollen mit ihrem Beruf etwas Sinnstiftendes tun. Da ist es nicht die Aufgabe des Staates, solche Menschen noch staatlich zu unterstützen. Der Mindestlohn vergisst genau diese diversen Lebensmodelle, die wir haben. Wir können nicht davon ausgehen, dass alle alleine leben.

Resener: Auch wenn man als Frau einen reichen Mann geheiratet hat, möchte diese Frau finanziell unabhängig sein. Das ist ihr absolutes Recht. Finanzielle Selbstständigkeit ist die Grundvoraussetzung für Freiheit. Da sollte die FDP eigentlich auch ein Interesse daran haben.

«Das, was Dumpinglohn-Unternehmen mit ihren Geschäftsmodellen sparen, zahlt die Gesellschaft nach.»

Björn Resener

Përparim Avdili, ist dieses klassische Familienmodell, das Sie ansprechen, nicht etwas aus der Zeit gefallen? Zudem haben wir ja auch bei Ferien und Arbeitszeiten staatlich definierte Mindeststandards, warum nicht auch beim Lohn? 

Avdili: Die Frage ist, wie viel verträgt es, dass der Staat andauernd eingreift? Und Sie sprechen von aus der Zeit gefallen: Wir haben heute ein Arbeitszeitreglement, das nicht mehr zeitgemäss ist. Es wurde in Zeiten der Industrialisierung eingeführt.

Sprechen Sie sich also auch für eine Erhöhung der Arbeitszeiten aus?

Avdili: Ja, es sollte flexibler sein. In Dienstleistungssektoren haben wir teilweise absurde Situationen, wo sich Top-Banker:innen an Arbeitszeiten halten müssen.

blankPërparim Avdili (FDP) sieht durch den Mindestlohn auch die Attraktivität von Ausbildungen in Gefahr. (Foto: Lara Blatter)

Bleiben wir bei den Menschen, die keine Managerlöhne verdienen. In der Stadt Zürich könnten laut Lohnstrukturerhebung des Bundes rund 17’000 Personen vom Mindestlohn profitieren. Gemäss dem Hilfswerk Caritas sind es zu zwei Dritteln Frauen, die vor allem in Tieflohnbranchen wie Reinigung, Gastronomie oder Detailhandel tätig sind.

Resener: Ja, da sind wir beim Problem. Ein Grossteil der Personen, die in den Tieflohnbranchen arbeiten, kommen da nicht raus. Das, was Dumpinglohn-Unternehmen mit ihren Geschäftsmodellen sparen, zahlt die Gesellschaft aber später über die Ergänzungsleistungen nach. Wer sein Leben lang so wenig verdient, der:die wird von Altersarmut betroffen sein.

Ein Argument der Gegner:innen, dass auch Sie schon angesprochen haben, Përparim Avdili, ist, dass der Mindestlohn auch Menschen zugutekommt, die gar nicht in Armut leben würden.

Avdili: Genau, es gibt ein kleines Feld, wo tiefe Löhne ein Problem sind, aber da helfen wir nicht mit staatlich diktierten Löhnen, da braucht es andere Massnahmen.

Resener: Der Mindestlohn schafft die Armut nicht ab – da gebe ich den Gegner:innen recht. Für eine alleinerziehende Person mit drei Kindern zum Beispiel reichen auch 23.90 pro Stunde nicht, um in der Stadt Zürich zu leben. Aber Menschen, die Vollzeit arbeiten, sollen von ihrem Lohn leben können. Diesem Ideal wollen wir uns mit einem moderaten Mindestlohn annähern.

Avdili: Aber das Giesskannenprinzip des Mindestlohn bringt nichts, damit gefährden wir nur unsere Wirtschaft und die Arbeitsstellen, wir brauchen gute Rahmenbedingungen.

An welche Ansätze denken Sie denn, wenn es darum geht, Working Poors, also Menschen, die trotz Arbeit nicht genügend verdienen, zu unterstützen?

Avdili: Da sollte das Sozialhilfesystem greifen und in Zürich gibt es beispielsweise zig Menschen, die ungerechtfertigt in gemeinnützigen Wohnungen leben. Und Working Poors wäre viel eher geholfen mit einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV): Ich verstehe nicht, warum genau die Gewerkschaften die Errungenschaften der Sozialpartnerschaften torpedieren.

Die Mindestlohn-Abstimmung

Gewerkschaften, SP, Grüne und AL lancierten die Mindestlohn-Initiative. Vollzeit-Angestellte sollen von ihrem Lohn leben können. Zudem soll sich das Risiko, von der Sozialhilfe abhängig zu werden, reduzieren. Sowohl in Zürich wie auch in Winterthur fordert die Initiative konkret einen Mindestlohn von 23.90 Franken pro Stunde.

SVP, FDP, Mitte und GLP lehnen die Initiative ab. Sie erachten einen Mindestlohn als schädlich für die Wirtschaft. Die Unternehmen müssen so mehr für Löhne ausgeben, was Arbeitsplätze gefährden würde. Ausserdem schaffe ein Mindestlohn neue bürokratische Belastungen und mache Ausbildungen weniger attraktiv.

Björn Resener, Sie sind Gewerkschaftssekretär beim Gewerkschaftsbund Kanton Zürich. Warum wollt ihr mit dem Mindestlohn die bewährten Sozialpartnerschaften und somit branchenspezifische Lösungen aushebeln?

Resener: Laut dem Plakat der Gegenseite ist das das Hauptargument. Da wird ein Widerspruch erfunden, der nicht existiert. 95 Prozent der GAV sind von dem geforderten Mindestlohn von 23.90 Franken gar nicht betroffen, weil sie bereits einen höheren Lohn definieren. Es gibt aber Branchen, wie beispielsweise den Detailhandel, wo es keine allgemeingültig erklärten GAV gibt.

Wäre den Detailhändler:innen aber nicht mehr geholfen mit einem GAV?

Resener: Natürlich sind GAV besser als der Mindestlohn. Viele Angestellte im Verkauf sind zu Löhnen unter 4000 Franken angestellt und da kriegen wir es nicht hin zwischen den Sozialpartner:innen einen allgemeingültigen GAV zu erarbeiten. Und es gibt Branchen wie etwa die Reinigung, da reichen die GAV-Löhne nicht aus, um zu leben. Denn diese sind schweizweit gültig und der Verdienst mag vielleicht im Tessin reichen, aber in der Stadt Zürich nicht. Denn die Lebenshaltungskosten sind in Zürich höher als die in den GAV verhandelten nationalen Mindestlöhne.

Përparim Avdili, Sie sagen, dass die GAVs durch den Mindestlohn torpediert werden. Würden Sie sich denn als FDP-Politiker für GAVs stark machen?

Avdili: Diese Sozialpartnerschaften werden zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgeber:innen freiwillig ausgehandelt, wenn beide Seiten einverstanden sind, dann sind wir als Freisinnige die Letzten, die sich dagegen wehren. Denn das Gewerbe weiss genau, was sie ihren Mitarbeitenden zahlen können und was nicht. Was denken Sie denn, warum die Löhne teils tief sind? Weil die Wertschöpfung nicht mehr hergibt und nicht, weil sich die Chefs dicke Boni auszahlen.

«Das Gewerbe weiss doch, was möglich ist und was nicht. Arbeitnehmende wissen nur, was sie wollen.»

Përparim Avdili

Heisst demnach: Unternehmern wären eigentlich schon bereit, mehr zu zahlen, wenn sie könnten?

Avdili: Ja.

Resener: Das ist Quatsch. Wir sprechen hier nicht nur über Kleinunternehmen, sondern auch über börsenkotierte Gastro- und Modeketten. Alle Menschen in unseren Kampagnen sind reale Menschen mit sehr tiefen Löhnen. Warum glauben Sie, dass jemand, der bei Zara an der Kasse sitzt oder bei McDonalds hinter dem Tresen steht, keinen Lohn über 4000 verdient hat?

Avdili: Ich sage nur, dass all diese Menschen nicht per se von Armut betroffen sind.

Wer nicht von Armut betroffen ist, hat also kein Anrecht auf einen Lohn über 4000 Franken?

Avdili: Doch. Aber es braucht keinen staatlichen Eingriff. Unser Wirtschaftssystem ist so erfolgreich, weil wir einen freien Markt haben. Wir müssen bei den Möglichkeiten unserer Volkswirtschaft bleiben. Nicht ohne Grund ist sämtliches Gewerbe gegen die Einführung eines Mindestlohns.

Resener: Das stimmt nicht ganz. Wir haben dutzende Unternehmen, die unsere Kampagne unterstützen.

Avdili: Gut, aber die meisten Unternehmen sind dagegen. Ich wehre mich gegen diesen Vorwurf, dass dies alles böse Menschen sind, die keine guten Löhne bezahlen wollen.

Resner: Niemand sagt, dass sie böse sind. Aber es ist doch offensichtlich, dass hier ein Konflikt zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden herrscht. Genauso wie sie von sämtlichen Gewerbe sprechen, kann ich von sämtlichen Arbeitnehmer:innen sprechen. Dieser Konflikt beweist gar nichts.

Avdili: Klar, das Gewerbe weiss doch, was möglich ist und was nicht. Arbeitnehmende wissen nur, was sie wollen.

Resener: Das stimmt doch nicht. Sie behaupten, dass die Position vom Gewerbeverband objektiv ist und sie keine Eigeninteressen an tiefen Löhnen haben.

blankAvdili und Resener kommen auf keinen grünen Zweig. Einzig in einem Punkt sind sie sich einig: Der Mindestlohn bekämpft keine Armut. (Foto: Lara Blatter)

Werfen wir nicht alle Unternehmen in eine Topf. Es macht einen Unterschied, ob wir von einem kleinen Familienbetrieb einer grossen Detailhändlerin sprechen. Denn da ist wohl unbestritten, dass ihr Geschäftsmodell auf Tieflöhnen basiert.

Avdili: Ja, aber auch bei McDonalds arbeiten nicht alle unter dem geforderten Mindestlohn. Zudem ist den meisten Menschen der soziale Aufstieg ohne Mindestlohn gelungen, dafür bin ich als Kind von Einwanderer:innen das beste Beispiel.

Menschen wie Sans Papiers arbeiten ohne Arbeitsvertrag. Diese würden nicht vom Mindestlohn profitieren, obwohl sie unter den prekärsten Arbeitsbedingungen leiden. Könnte der Mindestlohn dazu führen, dass mehr Menschen illegal arbeiten, weil die Arbeitgeber:innen sie wegen dem Mindestlohn nicht anstellen können?

Resener: Klar, das kann es immer geben. Aber wir können Gesetze nicht von der Gefahr abhängig machen, dass sich Menschen nicht daran halten. Wir sprechen uns ja auch nicht gegen 30er-Zone aus, nur weil es sein könnte, dass immer noch welche mit 50 durchs Quartier rasen.

Avdili: Aber der Staat macht sich auch nicht glaubwürdig, wenn ein Gesetz nicht greift. Wir haben zum Glück keinen Staatsapparat, der alle Betriebe kontrolliert.

Resener: Das braucht es auch nicht. Ich mache mir keine Sorgen, dass die Mindestlöhne nicht eingehalten werden.

Die Schweiz stimmte im Jahr 2014 bereits einmal über einen Mindestlohn ab. Das Ergebnis zeigte deutlich: 76,3 Prozent der Schweizer Stimmbevölkerung sagten damals Nein zu der Vorlage. Wieso soll es in Zürich klappen?

Resener: Die Vorlage ist breit abgestützt und auch das Parlament steht dahinter. 2014 hatten wir das Problem vom einheitlichen Mindestlohn für die ganze Schweiz. Auch war das die Zeit der Masseneinwanderungsinitiative, mit der sehr stark mit den Ängsten der Bevölkerung gespielt wurde. Und diese jetzige Vorlage kam bereits in Kloten zur Abstimmung. Sie scheiterte zwar, aber Kloten ist sehr konservativ und wir erreichten doch eine Zustimmung von 48 Prozent. Heisst, es haben sich auch sehr viele Bürgerliche hinter das Anliegen gestellt. Darum bin ich zuversichtlich für Zürich und auch Winterthur.

Wie haben Sie in Kloten die Bürgerlichen für sich gewonnen?

Resener: Anständige Arbeit soll anständig bezahlt werden, das ist ein sehr bürgerlich verankerter Wert.

Përparim Avdili, würden Sie das unterschreiben?

Avdili: Selbstverständlich. Und das wurde durch die liberale Politik überhaupt möglich gemacht, diese hat die Schweiz dahin gebracht, wo wir heute stehen. Das ist der Stimmbevölkerung bestimmt bewusst und darum glaube ich, werden wir die Abstimmung gewinnen.

Zu den Personen

Björn Resener ist Gewerkschaftssekretär des Zürcher Gewerkschaftsbundes. Er hat Politikwissenschaften und politische Kommunikation studiert, selbst gehört er keiner Partei an. Das «Ein Lohn zum Leben»-Komitee unterstützt der 40-Jährige als Kampagnenleiter.

 

Përparim Avdili ist seit Mai 2022 Präsident der Stadtzürcher FDP. Der gelernte Bankfachmann sitzt zudem seit 2018 für die FDP auch im Gemeinderat der Stadt. Aufgewachsen ist der 36-Jährige in Altstetten.

https://tsri.ch/zh/abstimmung-mindestlohn-natuerlich-sind-gesamtarbeitsvertraege-besser-gav-perparim-avdili-fdp-bjoern-resener-gewerkschaft.2JM8FCPKKKt6kyEO 

«Es braucht mehr Velos!» – «ÖV-Blockade!»: das grosse Streitgespräch zur Critical Mass

«Critical Mass»: Das grosse Streitgespräch zwischen FDP und SP

SP-Gemeinderat Reis Luzhnica (links) und FDP-Präsident Përparim Avdili (rechts) im Streitgespräch auf der watson-Redaktion.

SP-Gemeinderat Reis Luzhnica (links) und FDP-Präsident Përparim Avdili (rechts) im Streitgespräch auf der watson-Redaktion. 
25.11.2022 von Dafina Eshrefi
INTERVIEW

«Es braucht mehr Velos!» – «ÖV-Blockade!»: das grosse Streitgespräch zur Critical Mass

Tausende Velofahrer werden an der heutigen Critical Mass durch Zürich radeln. Das sorgt für Kritik. Auf der watson-Redaktion trafen sich FDP-Präsident Stadt Zürich Përparim Avdili und SP-Gemeinderat Reis Luzhnica zum Schlagabtausch – und schenkten sich nichts.

«Die Critical Mass blockiert den Verkehr nicht, sondern ist Teil des Verkehrs» heisst es auf einer Website der «Critical Mass» Zürich. Herr Avdili, warum stimmt das aus Ihrer Sicht und der Ihrer Partei nicht und warum soll für die «Critical Mass» in Zürich künftig eine Bewilligung eingeholt werden müssen?
Përparim Avdili: 
Dass die «Critical Mass» einfach ein Teil des Verkehrs sei, dieses Märchen glaubt keiner mehr. Selbst der Stadtrat kommt zum Schluss, dass es ein organisierter Umzug und somit eine Demonstration ist. Es ist offensichtlich, dass hinter diesem Umzug eine Organisation steckt: Es gibt eine Homepage, es werden immer Treffpunkt und fixe Zeiten festgelegt. Darüber hinaus wird auch ein Dialogteam zur Verfügung gestellt: Es gibt Gespräche zwischen Polizei, den Zürcher Verkehrsbetrieben und den Mitgliedern dieser Organisation, um miteinander festzulegen, welche Spielregeln eingehalten werden müssen.

Përparim Avdili, FDP-Präsident Stadt Zürich fordert, dass die «Critical Mass» nur mit Bewilligung stattfinden kann.

Përparim Avdili, FDP-Präsident Stadt Zürich fordert, dass die «Critical Mass» nur mit Bewilligung stattfinden kann.watson

Was genau fordert die FDP vom Zürcher Stadtrat?
Avdili: Wir fordern, dass für alle das gleiche Recht gilt. Für jeden anderen Umzug in der Stadt Zürich muss eine Bewilligung eingeholt werden. Bewilligungen sind nicht zum Spass da, sie dienen der Sicherheit.

Was genau stört Sie an der «Critical Mass» so wie sie heute stattfindet?
Avdili: Eine Demonstration ist ein zentrales, liberales Gut. Menschen können und sollen demonstrieren können, aber man muss regulieren, wie man den Umzug durchführen kann, ohne dabei den Gesamtverkehr der Zürcher Innenstadt lahmzulegen. Vielleicht müsste man darüber hinaus auch über Zeiten reden.

SP-Gemeinderat Reis Luzhnica möchte, dass die «Critical Mass» weiterhin spontan stattfinden kann, ohne Bewilligung.

SP-Gemeinderat Reis Luzhnica möchte, dass die «Critical Mass» weiterhin spontan stattfinden kann, ohne Bewilligung.watson

Herr Luzhnica, warum ist die «Critical Mass» aus Ihrer Sicht keine Demonstration im herkömmlichen Sinne?
Reis Luzhnica: Um auf die Homepage zurückzukommen: Das ist eine Fanpage, die jeder erstellen kann. Hinter der «Critical Mass» steht keine Organisation. Und deswegen ist es keine Demonstration. Es hat zwar Urheber, die das einmal initiiert haben, aber das war es dann auch schon. Man weiss lediglich, wo und wann es stattfindet. Ich weiss jetzt zum Beispiel, dass die nächste «Critical Mass» in Zürich heute um 18.45 Uhr stattfindet und der Startpunkt am Bürkliplatz ist. Mit dieser Beschwerde versucht die FDP etwas herbeizuzwingen, das weder nötig noch umsetzbar ist. Sie versuchen den Stadtrat dazu zu zwingen, dass sie die Polizei beauftragen, die Menschen zu büssen. Wenn das nicht funktioniert, dann soll die Polizei mit härteren Massnahmen gegen die Velofahrerinnen und Velofahrer vorgehen.

Was stört Sie am Vorgehen der FDP?
Luzhnica: 
Ich denke, die FDP versteht nicht, wie die «Critical Mass» funktioniert und sie versucht jetzt den Stadtrat zu etwas zu drängen, das nicht zielführend und überhaupt nicht verhältnismässig ist. Wie soll das überhaupt gehen? Soll die Polizei jetzt massenweise Velofahrerinnen und Velofahrer büssen? Wenn ich zufällig an einem Freitagabend mit dem Velo unterwegs bin, ich aber mit der «Critical Mass» nichts zu tun habe, werde ich dann von der Polizei gebüsst? Oder brauche ich nun eine Bewilligung, wenn ich jeweils an diesen Freitagen Velo fahren möchte?

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Avdili: Man versucht, die Diskussion in eine falsche Richtung zu treiben. Mit der Beschwerde fordern wir die Durchsetzung der Verkehrsregeln. Wenn die «Critical Mass» nur Verkehr ist, dann muss man sich wenigstens an die Verkehrsregeln halten. Das ist ja das Absurde an dieser ganzen Geschichte: Man behauptet zwar, dass man Verkehr sei. Gleichzeitig bricht man aber offensichtlich alle Verkehrsregeln. Was übrigens höchst gefährlich ist.

Luzhnica: Wegen der Verkehrssicherheit steht man im Dialog mit der Polizei.

Avdili: Eben. Das heisst, es gibt doch eine Organisation dahinter.

Luzhnica: Nein, heisst es überhaupt nicht. Ich habe mich auch schon schützend vor die durchfahrenden Velofahrer gestellt, weil es teilweise zu sehr gefährlichen Situationen kommen kann, wenn Autofahrer sich durch die Velos zwängen wollen.

Critical Mass in Zuerich am Freitag, 30. Juli 2021. Etwa tausend Velofans sind am Freitagabend erneut in grossen Gruppen durch die Stadt gefahren Ð trotz schlechtem Wetter. (KEYSTONE/Walter Bieri)

Die «Critical Mass» findet jeden letzten Freitag im Monat statt. bild: keystone

Warum sehen Sie diese Strassensperren zum Schutz der Velofahrer als Problem, Herr Avdili?
Avdili:
Erstens geht es nicht, dass man im regulären Verkehr einfach die Strassen blockiert. Und zweitens kann man nicht massenweise über Rot fahren. Unsere Beschwerde richtet sich nicht gegen Menschen, die bei der «Critical Mass» mitfahren. Unsere Beschwerde richtet sich an den Stadtrat, der seine Pflichten nicht wahrnimmt. Es kann nicht sein, dass alle anderen Umzüge, wie die «Monday Night Skate», organisiert und bewilligt sein müssen und eine kleine Gruppierung sich das Recht nimmt, über dem Rechtsstaat zu stehen.

Luzhnica: Es ist keine Gruppierung.

Avdili: Doch. Es ist eine Gruppierung und es ist ein organisierter Umzug. Dafür gibt es glasklare Fakten.

Luzhnica: Das will ich sehen, wie das umgesetzt werden soll, wenn ich am Freitag mit dem Velo dort stehe, bekomme ich dann also eine Busse?

Avdili: Das ist Teil der Aufgabe der Polizei.

Genug von «Critical Mass»: Zürcher FDP reicht Beschwerde gegen Stadtrat ein

Luzhnica: Dafür gibt es ein Strassenverkehrsgesetz, das genau das regelt: Wenn es mehr als zehn Velos sind, dürfen sie …

Avdili: … durch Rot fahren?

Luzhnica: … nebeneinander fahren und die Velofahrerinnen und Velofahrer bilden einen Konvoi, der wie ein langes Fahrzeug angesehen wird. Das erste Velo fährt durch Grün und wenn es mitten durch den Konvoi rot wird, dann fährt man halt durch. Dies ist übrigens mit der Polizei so abgesprochen.

Avdili: Aber das ist ein klarer Verkehrsregelbruch. Ganz einfach.

Critical Mass in Zuerich am Freitag, 30. Juli 2021. Etwa tausend Velofans sind am Freitagabend erneut in grossen Gruppen durch die Stadt gefahren Ð trotz schlechtem Wetter. (KEYSTONE/Walter Bieri)

Die «Critical Mass» hier unterwegs auf den Zürcher Strassen im Juli 2021. bild: keystone

Auf der Webseite der Critical Mass steht, dass die Masse an Velofahrern sich als ein einziges Verkehrsfahrzeug zu verhalten hat.
Avdili: Das ist totaler Unfug und eine Verzerrung des Strassenverkehrsgesetzes. Eins ist klar, und das weiss man auch auf der linken Seite: Diese Beschwerde wird durchkommen. Weil die rechtliche Lage glasklar ist. Es ist zudem absurd, dass wir nicht über politische Inhalte diskutieren können, sondern nur darüber, ob wir uns an den Rechtsstaat halten oder nicht.

Luzhnica: Wir halten uns an den Rechtsstaat, ihr seid einfach nicht damit einverstanden. Die Polizei ist jeweils anwesend. Jeden Tag gibt es in den Zürcher Strassen Stau, dort sagt ihr nichts.

Avdili: Stau ist ein politisches und kein gesetzliches Problem.

Luzhnica: Aber dort kollabiert der Verkehr auch jeden Tag. Dort setzt ihr euch nicht ein.

Avdili: Aber in diesem Fall geht es nicht um eine politische Forderung, sondern um eine rechtliche.

«Wenn viel mehr Menschen in der Stadt mit dem Velo unterwegs wären, käme es auch zu weniger Stau.»
Reis Luzhnica, SP Gemeinderat Stadt Zürich

Luzhnica: Doch, eure Forderung hat sehr wohl auch ein politisches Motiv: Ihr wart auch gegen die «Veloroute-Initiative», zusammen mit der SVP. Das wäre eine Möglichkeit gewesen, dem Verkehrskollaps Einhalt zu gebieten. Wenn viel mehr Menschen in der Stadt mit dem Velo unterwegs wären, käme es auch zu weniger Stau.

Avdili: Hast du wirklich das Gefühl, dass man mit mehr Velofahrern und Velorouten den ganzen Verkehr auf das Velo umleiten kann? Was für eine Illusion!

Luzhnica: Nein, nicht den ganzen Verkehr, aber einen Ausgleich im Verkehr schaffen.

Avdili: Immerhin führen wir jetzt eine inhaltliche Diskussion. Es ist mir wichtig, dass wir das hier unterscheiden. Das eine ist eine politisch inhaltliche Diskussion und über das muss und soll man reden. Ich glaube übrigens nicht, dass Zürich zu einer absoluten Velostadt mutieren kann, das ist eine linke Illusion. Zürich war schon immer eine ÖV-Stadt und Zürich muss sich zu einer ÖV-Stadt weiter ausbauen. Der ideologische Kampf gegen das Auto ist völlig absurd. Du hast ja selbst ein Unternehmen, und deine Ware wird auch nicht mit dem Velo geliefert, oder?

«Die Linken hätten Zürich am liebsten autofrei. Ich kann mich nur wiederholen: Illusion.»
Përparim Avdili, FDP-Präsident der Stadt Zürich

Luzhnica: Doch, teilweise schon. Aber unser Unternehmen hat auch ein Auto. Übrigens bin ich derjenige, der im Stau stecken bleibt und die Ware nicht rechtzeitig zum Kunden ausliefern kann, weil viele Leute einfach sinnlos mit dem Auto in die Stadt fahren. Um einkaufen zu gehen, um durchzufahren oder einfach zum Spass. Nur ein kleiner Teil ist wirklich auf das Auto angewiesen. Ich habe auch schon Schicht gearbeitet, bevor ich mein Unternehmen hatte, und bin dann auf das Auto angewiesen gewesen für die Frühschicht, weil ich es sonst nicht rechtzeitig geschafft hätte. Aber: ein grosser Teil der Leute bräuchte das Auto nicht. Für die meisten gäbe es Alternativen, die einfach nicht genutzt werden.

Herr Luzhnica, wieso ist es wichtig, dass die «Critical Mass» weiterhin in dieser Form stattfinden kann?
Luzhnica: 
Ich bin überzeugt, dass die Stadt und die Strassen den Menschen gehören sollten. Wenn man jetzt auf die Strassen schaut, sieht man, dass Autos Oberhand haben. Mit der «Critical Mass» holen sich die Menschen die Stadt und die Strassen zurück, deshalb muss es in dieser Form so fortbestehen können.

Autos gehören doch auch den Menschen?
Luzhnica: 
Ja, aber ein Blick auf unsere Strassen und Quartiere reicht, um zu verstehen, dass diese mit Autos vollgestopft sind. Ich sage nicht, es braucht gar keine Autos. Man beschwert sich, weil an einem einzigen Freitag im Monat die Velos Oberhand auf der Strasse haben – und das nur für zwei oder drei Stunden – nach Abendverkehr.

Avdili: Diese Antwort zeigt 1:1 genau das, warum «Critical Mass» organisiert, politisch motiviert und in dieser Form nicht stattfinden darf. Und was die Parole «Wir holen uns die Strassen zurück» betrifft: So funktioniert unser Rechtsstaat einfach nicht. Ich bin wirklich enttäuscht darüber, dass die SP, eine staatstragende Bundesratspartei, mit so viel politischer Macht tatsächlich noch illegale Aktionen gutheisst.

Luzhnica: Das ist aus deiner Sicht illegal. Jeden Tag bleiben Autos mitten auf den Strassenkreuzungen wegen Stau stecken, heisst das im Umkehrschluss, dass dort der Rechtsstaat auch nicht durchgreift?

Herr Avdili, warum fordert die FDP bei der «Critical Mass» ein härteres Durchgreifen des Staates?
Avdili: Damit es klar ist: Wir haben weder eine Initiative noch einen Vorstoss eingereicht, um das Gesetz anzupassen. Wir haben nur eine Beschwerde eingereicht, in der wir fordern, dass das geltende Gesetz eingehalten wird. Und das ist für einen liberalen Rechtsstaat besonders wichtig. Ein gut funktionierender Rechtsstaat schützt vor allem die Schwächeren und die Minderheit.

Luzhnica: Sind die Autofahrer mit ihren zweieinhalb Tonnen schweren Autos die Schwächeren?

Avdili: Nein. Ich selber fahre übrigens auch hauptsächlich Velo. Auf den Strassen herrscht ein aggressiver Kampf zwischen Velo- und Autofahrern. Die Gruppierung von diesen Velofahrern kämpft aktiv gegen Autos an, trifft aber mit der «Critical Mass» vor allem den ÖV-Nutzer.

Luzhnica: Ihr werdet mit einer organisierten, bewilligten Demo den ÖV nicht weniger einschränken.

Herr Avdili, jeden Freitagabend herrscht in Zürichs Innenstadt Stau. «Critical Mass» passt sich doch nur den Gegebenheiten an.
Avdili: Durch die «Critical Mass» wird der öffentliche Verkehr am Bürkliplatz lahmgelegt. Das passiert an einem Freitagabend von sonstigem Verkehr nicht.

Luzhnica: Wenn die «Critical Mass» organisiert und bewilligt ist, wird der ÖV auch eingeschränkt.

Avdili: Aber die Routen sind dann bekannt und man weiss, wodurch die Masse fährt.

Luzhnica: Je nachdem wie gross die Massen an Velofahrern sind, kann man die Routen nie hundertprozentig einhalten.

Gefährlicher Streit auf den Strassen: Autofahrende ärgern sich über Critical Mass

Avdili: Die Leute da draussen haben einfach die Schnauze gestrichen voll von all den illegalen Aktionen, die sie mit der Begründung durchführen, sie stünden moralisch auf der «richtigen Seite».

Luzhnica: Den Autofahrer interessiert es am Schluss nicht, wieso er im Stau sitzt. Er ist einfach verärgert, dass er im Stau sitzt.

Avdili: Es ist übrigens auch unfair gegenüber allen anderen Velofahrerinnen und Velofahrern in dieser Stadt, die sich an die geltenden Verkehrsregeln halten.

Luzhnica: Das ist nicht vergleichbar. Es gibt ein Strassenverkehrsgesetz, dort gibt es eine Verkehrsordnung, die Ausnahmen bewilligt.

Wie geht es nun mit Ihrer Beschwerde weiter, Herr Avdili?
Avdili:
 Das Dossier ist jetzt beim Statthalter, dem Aufsichtsorgan des Stadtrates. Ich vermute, dass es dieses Jahr zu keiner Entscheidung mehr kommen wird. Er wird ja beide Seiten anhören und anschliessend eine rechtliche Beurteilung machen müssen.

Wie regelt ihr das privat an diesen Freitagabenden, wenn die «Critical Mass» jeweils stattfindet?
Avdili: Ich arbeite in der City und werde selber blockiert. Ich habe ältere Menschen gesehen, die im Tram blockiert waren und nicht mehr wussten, wie sie nach Hause kommen und sich darüber sehr aufgeregt haben.

Luzhnica: Wenn es bewilligt wäre, wäre es denn nicht so oder wie?

Avdili: Dann hätte man es gewusst. Man wäre informiert über die Routen. Die SP macht sich mittlerweile lustig über ältere Menschen, die im ÖV stecken bleiben.

Luzhnica: Nein, das stimmt nicht. Man weiss, dass es jeweils immer am letzten Freitag des Monats stattfindet. Selbst wenn du die sogenannten «Organisatoren» von «Critical Mass» einsperren würdest, würde die «Critical Mass» trotzdem stattfinden.

Avdili: Eins will ich an dieser Stelle auch betont haben: Einem Grossteil der Teilnehmenden war bis vor Kurzem nicht bewusst, dass es sich um einen unbewilligten Umzug handelt. Ich behaupte, dass wenn die Polizei die Velofahrer anhalten und darauf ansprechen würde, zöge sich ein beträchtlicher Teil zurück. Warum? Weil sich der Grossteil der Menschen an Gesetze halten möchten. Sie sind korrekt und pflichtbewusst. Und nochmals: Es ist der SP als staatstragende Partei als Bundesratspartei wirklich anzuraten, zusammen mit den Freisinnigen den politischen Streit über Inhalt zu führen.

Luzhnica: Den habt ihr im Gemeinderat verloren: mit 44 zu 74 Stimmen.

Ein Schlusswort?
Luzhnica: In der Stadt Zürich gibt es ungefähr 65’000 Auto-Parkplätze und rund 45’000 Veloabstellplätze. Die Fläche, die dabei beansprucht wird, beträgt 650’000 Quadratmeter bei den Autos und rund 45’000 bei den Velos. Von den Autos wird über 14-mal mehr Platz beansprucht als von den Fahrrädern.

Avdili: Ich kann mich wiederholen: Ich habe kein Auto. Es gibt aber Menschen, die eines brauchen. Ich persönlich bin ein Fan vom ÖV. Warum wird diese «Critical Mass» eigentlich nicht an einem Sonntagmorgen durchgeführt?

Luzhnica: Es steht dir frei, so etwas zu organisieren.

https://www.watson.ch/schweiz/interview/322657143-critical-mass-das-grosse-streitgespraech-zwischen-fdp-und-sp 

Beschwerde gegen Velo- Demo Critical Mass

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Beschwerde gegen Velo-Demo Critical Mass

Verkehrschaos in den Zürcher Strassen wegen Tausenden von Velofahrerinnen und Velofahrern: Die Stadtzürcher FDP hat eine Aufsichtsbeschwerde gegen den Stadtrat eingereicht, weil dieser nicht gegen die Velo-Demo Critical Mass vorgeht. Im Mai hatte der Gemeinderat entschieden, dass die Velo-Demonstrierenden weiterhin ohne Bewilligung durch die Stadt fahren können. Soll die Velo-Demo nur noch mit Bewilligung rollen dürfen? Der Schlagabtausch zwischen FDP und Critical Mass heute live im «TalkTäglich».

Gemeinderat der Woche: Përparim Avdili (FDP)

Gemeinderat der Woche: Përparim Avdili (FDP)

23. September 2022 um 06:00 von Steffen Kolberg

Der Präsident der Stadtzürcher FDP ist auch im Präsidium der Secondas Zürich aktiv, weil er die politische Mitbestimmung von Ausländer:innen stärken will. Als durch und durch Liberaler setzt er sich für eine freie Markt- und Gesellschaftsordung ein – und gegen Besetzungen wie die des Koch-Areals, die sich für ihn ausserhalb des Rechtsstaats bewegen.

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Warum er der FDP beigetreten ist, dafür kann Përparim Avdili auf Anhieb gar keinen konkreten Grund nennen: «Das ist so selbstverständlich für mich, es entspricht einfach meinen politischen Werten. Ich bin fest davon überzeugt, dass eine freie Markt- und Gesellschaftsordnung dem Individuum die allerbeste Möglichkeit gibt, sich in Wohlstand zu entfalten.»

19 oder 20 Jahre war er alt, so erzählt er, als er bei einer Quartierveranstaltung in Altstetten jemanden von der FDP-Kreispartei kennenlernte und kurz darauf Mitglied wurde. Seit diesem Mai ist der 34-Jährige nun Präsident der Stadtzürcher FDP und hat klare Ziele für seine Partei: Man wolle in vier Jahren die Mehrheit im Stadtparlament drehen, erklärt er. Rot-Grün wisse nicht mehr weiter, das sehe man zum Beispiel bei der Neugasse-Abstimmung: «Sie setzen in der Wohnbaupolitik nur noch auf staatliche Lösungen, das Zusammenspiel von Staat, Privaten und Genossenschaften ist für sie keine Option mehr. Aber so können wir uns nicht weiterentwickeln.» Es brauche keine Symbolpolitik, sondern konkrete Massnahmen, das gelte auch beim Klima.

Avdili wuchs als Kind albanischer Saisonniers aus Mazedonien im Kreis 9 auf, wo er bis heute wohnt. Als Vize-Präsident der Secondas Zürich setzt sich der Bankkaufmann unter anderem dafür ein, dass Ausländer:innen politisch mitbestimmen können. Menschen einzubinden, verhindere die Bildung von Parallelgesellschaften und ermögliche erst die Identifikation mit dem Staat und geteilten Werten, erklärte er kürzlich gegenüber Swissinfo.ch. Die FDP sei für ihn die Partei der modernen Schweiz, erläutert er. Denn sie stehe dafür, gemeinsam und mit eigenem Engagement nach Wohlstand zu streben und dabei die Schwächsten zu schützen: «Das ist eine Grundhaltung und ein Wert, den man als Secondo hier wohl viel stärker erlebt als die Menschen, die ganz selbstverständlich damit aufgewachsen sind.

Als Anwohner unweit des besetzten Koch-Areals machte Avdili kürzlich Schlagzeilen, als er sich über das dortige Unite-Festival beschwerte (wir berichteten). Im Gemeinderat legte er letzte Woche nach und reichte zusammen mit Parlamentarier:innen aus FDP, SVP und der Mitte eine dringende Schriftliche Anfrage ein, die sich mit Bewilligungs- und Lärmbelästigungsfragen rund um die Veranstaltung beschäftigt. Einen Widerspruch zu seiner liberalen Grundhaltung kann er darin nicht erkennen, ganz im Gegenteil: Unbedingt müsse jede:r so leben können wie sie oder er wolle, findet Avdili, «aber das muss auf der Basis des Rechtsstaats passieren.» Momentan gelte auf dem Koch-Areal jedoch das Recht der Stärkeren – nämlich das der von der linksgrünen Mehrheit protegierten Besetzer:innen.

https://tsri.ch/zh/gemeinderat-der-woche-perparim-avdili-fdp.ABvetrZChW9FB1Id

Top Talk: Bedingungsloses Grundeinkommen in der Stadt Zürich

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TOP TALK: Bedingungsloses Grundeinkommen in der Stadt Zürich

12.09. 2022

In der Stadt Zürich soll es bald ein Grundeinkommen geben. Eine Initiative will erreichen, dass in der Stadt ein Pilotversuch gestartet wird. Im TOP TALK diskutieren Urs Helfenstein vom Initiativkomitee und Gegner der Initiative Përparim Avdili über den Text zur Abstimmung am 25. September.

500 Stadtzürcherinnen und Stadtzürcher sollen während mindestens drei Jahren ein Grundeinkommen von monatlich bis zu 3’000 Franken erhalten. Der Versuch wird wissenschaftlich von Hochschulen begleitet und ausgewertet. Über die Initiative «Wissenschaftlicher Pilotversuch Grundeinkommen» stimmt die Stadt Zürich am 25. September 2022 ab.

Wir klären offene Fragen wie, wer finanziert dies, greift die Initiative die Sozialsysteme an und funktioniert die Initiative überhaupt in der Stadt Zürich?

Im TOP TALK nach den Nachrichten um 18 Uhr (stündlich wiederholt) antworten Urs Helfenstein vom Initiativkomitee und Gegner der Initiative Përparim Avdili, Gemeinderat und Parteipräsident FDP/Zürich, zu diesen Fragen.

Talk unter: https://www.toponline.ch/news/detail/news/top-talk-bedingungsloses-grundeinkommen-in-der-stadt-zuerich-00193654/  

NZZ am Sonntag: Der Pionier vom Balkan

Der Pionier vom Balkan

Përparim Avdili führt bald die Stadtzürcher FDP – und wird damit der erste Secondo mit albanischen Wurzeln an der Spitze einer Partei. Das will er nutzen.

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Als der Fotograf ihn bittet, für das Bild doch kurz das Jackett auszuziehen, zögert Përparim Avdili. Ohne Jackett? Das Zögern ist nur kurz, Avdili steht im Hemd da. Er sagt: «Ein Stilwechsel wird das ja sowieso.»

Ein 34 Jahre alter albanischstämmiger Secondo aus dem Arbeiterviertel Altstetten als Präsident der Stadtzürcher FDP: Das ist tatsächlich ein Stilwechsel. Am 17. Mai wird Përparim Avdili zum neuen Parteichef gewählt, die Findungskommission hat ihn als einzigen Kandidaten vorgeschlagen. Er folgt auf Severin Pflüger, einen Anwalt vom Zürichberg, jemand also, der eher dem entspricht, was sich viele gemeinhin unter einem Vertreter des Freisinns vorstellen.

Was aussieht wie eine lokalpolitische Personalie, strahlt über Zürich hinaus. Avdili wird der erste Schweizer Politiker mit Wurzeln auf dem Balkan, der es an die Spitze einer wichtigen Partei schafft. Und wichtig, das ist die FDP in der Stadt Zürich noch immer: Sie stellt die zweitgrösste Fraktion im Parlament, zwei Mitglieder der Regierung – und sie ist mit drei Nationalräten sowie einem Ständerat auch im Bundesparlament prominent vertreten.

Avdili weiss um diese Symbolik. Er sitzt jetzt in einem Restaurant unweit der Bahnhofstrasse, das Jackett hat er wieder angezogen, vor ihm steht eine Tasse Ingwertee. «Mein Weg zeigt, dass die FDP kein elitärer Klub ist», sagt er. Wenn er über diesen Weg spricht, tut er das mit dem Selbstbewusstsein des Secondos, der sich aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet hat – im Beruf und in der Politik. Es ist eine Aufstiegsgeschichte nach Schweizerart.

Der Balkankrieg am Küchentisch

Avdili kommt 1987 in einem albanischsprachigen Dorf in Mazedonien zur Welt. Er ist ein Jahr alt, als seine Mutter mit ihm und den älteren Geschwistern nach Zürich zieht, zu Avdilis Vater, der dort als Saisonnier arbeitet. Avdili macht die Handelsschule, bildet sich zum Bankfachmann aus, macht Karriere bei verschiedenen Banken. Inzwischen ist er Finanzverantwortlicher in einer Zürcher Wirtschaftskanzlei. Zumindest das: recht freisinnig.

In seiner Jugend ist Schweizer Politik zu Hause kaum ein Thema. Der Vater ist antikommunistisch geprägt, und die Familie beschäftigen die Kriege auf dem Balkan. Përparim selbst ist fasziniert von Ibrahim Rugova und dessen gewaltfreiem Kampf für die Unabhängigkeit Kosovos. Noch heute nennt er Rugova ein Vorbild.

Als er in die Politik einsteigt, tut Avdili das bei der FDP: Weil sie eine freiheitliche Politik verfolge, sagt er. Die Medien nehmen erstmals Notiz von ihm, als er 2015 für den Zürcher Kantonsrat kandidiert. Er tut das unter anderem mit einem Wahlplakat auf Albanisch, was zu einem Artikel im «Blick» führt und zu gehässigen Reaktionen aus der SVP, die schimpft, dass ein Wahlkampf gefälligst in einer Landessprache geführt werden müsse. Avdili verpasst die Wahl in den Kantonsrat, aber 2018 schafft er den Einzug in den Gemeinderat, wo er schon bald die Finanzkommission präsidiert.

Nun also: Parteichef. Er habe sich das Amt verdient, sagt Avdili. «Ich habe die Ochsentour gemacht, mich viel im Hintergrund für die Partei engagiert.» Was seine künftige Aufgabe angeht, so ist Avdilis Ausgangslage komfortabel, wenn man den Zustand der freisinnigen Stadtpartei mit jenem in anderen Städten vergleicht: Die Zürcher FDP hat bei den Kommunalwahlen im vergangenen Februar Wähleranteile und Sitze gewonnen, zum zweiten Mal in Folge. Und doch gebe es noch viel Luft nach oben, sagt Avdili.

Avdili hat eine klare Vorstellung davon, wohin er mit der FDP will. Es reiche nicht, im rot-grünen Zürich die bürgerliche Minderheit anzuführen. «Wir müssen wieder den politischen Lead übernehmen. Wir müssen die Partei sein, die in der Stadt den Takt vorgibt.» Dazu muss die FDP weiter wachsen. Und um neue Wähler zu gewinnen, denkt Avdili auch an Menschen wie sich selbst: Schweizerinnen und Schweizer mit ausländischen Wurzeln, auf dem Balkan und anderswo.

Es sei ein Irrtum zu glauben, dass sich diese Leute besonders zu linken Parteien hingezogen fühlten. Gerade was die albanischstämmige Community angehe, wisse er: «Der Ehrgeiz ist bei diesen Leuten gross. Sie sind noch nicht in der postmaterialistischen Phase, in der sich manche befinden, die schon seit Generationen im Wohlstand leben. Es sind Leistungsträger mit liberalen, freiheitlichen Werten, die Teil einer starken Wirtschaft sein wollen.» Im Freisinn fühlten sich diese Leute besser aufgehoben als in einer SP. «Da liegt für uns viel Potenzial brach. Doch wir müssen ihnen zeigen, dass wir offen für sie sind.»

Avdili hat damit im Kleinen begonnen. Er hat albanischstämmige FDP-Sympathisanten mit einer Whatsapp-Gruppe vernetzt, er ist regelmässig an Anlässen in der Community unterwegs. Als die Zürcher Kantonsregierung mitten in der Pandemie das Alba-Festival auf dem Hardturmareal absagte, wehrte er sich öffentlich für die Organisatoren und gegen eine Stigmatisierung der Balkan-Community.

Er sieht ein «Demokratiedefizit»

Die Zürcher FDP wäre nicht die erste Partei, die sich um diesen Teil der Bevölkerung bemüht – mit unterschiedlichen Ansätzen. Die SP hievt vielerorts Migrantinnen und Migranten auf ihre Wahllisten, und in Luzern rief die CVP schon vor zehn Jahren eine Kosovaren-Vereinigung ins Leben.

Ein Problem für alle Parteien ist allerdings, dass viele dieser Menschen gar nicht wählen dürfen. Ein Drittel der Einwohnerinnen und Einwohner von Zürich sind Ausländer, und bei den 30- bis 39-Jährigen machen die Ausländer inzwischen die Hälfte aus. «Unabhängig davon, wie diese Menschen wählen würden: Das ist ein Demokratiedefizit», sagt Avdili.

Er kämpft deshalb für tiefere Hürden für die Einbürgerung, besonders für junge Ausländerinnen und Ausländer, die in der Schweiz aufgewachsen sind. Im Gemeinderat hat er gemeinsam mit SP-Ratskollegin Nadia Huberson erreicht, dass die städtischen Einbürgerungsgebühren für unter 25-Jährige abgeschafft werden.

In der SP hofft man, dass die FDP unter Avdili noch weiter geht – und Hand bietet zu einer Debatte über das Ausländerstimmrecht. «Seine progressive Haltung in dieser Frage könnte vieles in Bewegung setzen», sagt Davy Graf, Fraktionschef der SP im Zürcher Gemeinderat, der Avdili als «sehr engagiert und dossierfest» erlebt (aber gelegentlich Mühe hat mit dessen «Law-and-Order-Seite», wenn es etwa um das Thema der Zwischennutzungen in der Stadt geht).

Und Avdili will die Debatte auch innerhalb der FDP führen, zumindest was das Stimmrecht auf kommunaler Ebene betrifft. Gleichzeitig verweist er auf einen anderen migrationspolitischen Erfolg: Das Stadtparlament beauftragte die Stadt vergangenes Jahr damit, anonyme Bewerbungsverfahren durchzuführen, um Diskriminierungen von Bewerberinnen und Bewerbern mit fremden Namen zu verhindern. Auslöser war ein Vorstoss, den Avdili gemeinsam mit der GLP-Gemeinderätin Isabel Garcia eingereicht hatte.

Eine Revolution ist das noch nicht. Aber im Minimum: ein Stilwechsel.

https://magazin.nzz.ch/nzz-am-sonntag/schweiz/perparim-avdili-der-pionier-vom-balkan-ld.1681891

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