Der Pionier vom Balkan

Përparim Avdili führt bald die Stadtzürcher FDP – und wird damit der erste Secondo mit albanischen Wurzeln an der Spitze einer Partei. Das will er nutzen.

Als der Fotograf ihn bittet, für das Bild doch kurz das Jackett auszuziehen, zögert Përparim Avdili. Ohne Jackett? Das Zögern ist nur kurz, Avdili steht im Hemd da. Er sagt: «Ein Stilwechsel wird das ja sowieso.»

Ein 34 Jahre alter albanischstämmiger Secondo aus dem Arbeiterviertel Altstetten als Präsident der Stadtzürcher FDP: Das ist tatsächlich ein Stilwechsel. Am 17. Mai wird Përparim Avdili zum neuen Parteichef gewählt, die Findungskommission hat ihn als einzigen Kandidaten vorgeschlagen. Er folgt auf Severin Pflüger, einen Anwalt vom Zürichberg, jemand also, der eher dem entspricht, was sich viele gemeinhin unter einem Vertreter des Freisinns vorstellen.

Was aussieht wie eine lokalpolitische Personalie, strahlt über Zürich hinaus. Avdili wird der erste Schweizer Politiker mit Wurzeln auf dem Balkan, der es an die Spitze einer wichtigen Partei schafft. Und wichtig, das ist die FDP in der Stadt Zürich noch immer: Sie stellt die zweitgrösste Fraktion im Parlament, zwei Mitglieder der Regierung – und sie ist mit drei Nationalräten sowie einem Ständerat auch im Bundesparlament prominent vertreten.

Avdili weiss um diese Symbolik. Er sitzt jetzt in einem Restaurant unweit der Bahnhofstrasse, das Jackett hat er wieder angezogen, vor ihm steht eine Tasse Ingwertee. «Mein Weg zeigt, dass die FDP kein elitärer Klub ist», sagt er. Wenn er über diesen Weg spricht, tut er das mit dem Selbstbewusstsein des Secondos, der sich aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet hat – im Beruf und in der Politik. Es ist eine Aufstiegsgeschichte nach Schweizerart.

Der Balkankrieg am Küchentisch

Avdili kommt 1987 in einem albanischsprachigen Dorf in Mazedonien zur Welt. Er ist ein Jahr alt, als seine Mutter mit ihm und den älteren Geschwistern nach Zürich zieht, zu Avdilis Vater, der dort als Saisonnier arbeitet. Avdili macht die Handelsschule, bildet sich zum Bankfachmann aus, macht Karriere bei verschiedenen Banken. Inzwischen ist er Finanzverantwortlicher in einer Zürcher Wirtschaftskanzlei. Zumindest das: recht freisinnig.

In seiner Jugend ist Schweizer Politik zu Hause kaum ein Thema. Der Vater ist antikommunistisch geprägt, und die Familie beschäftigen die Kriege auf dem Balkan. Përparim selbst ist fasziniert von Ibrahim Rugova und dessen gewaltfreiem Kampf für die Unabhängigkeit Kosovos. Noch heute nennt er Rugova ein Vorbild.

Als er in die Politik einsteigt, tut Avdili das bei der FDP: Weil sie eine freiheitliche Politik verfolge, sagt er. Die Medien nehmen erstmals Notiz von ihm, als er 2015 für den Zürcher Kantonsrat kandidiert. Er tut das unter anderem mit einem Wahlplakat auf Albanisch, was zu einem Artikel im «Blick» führt und zu gehässigen Reaktionen aus der SVP, die schimpft, dass ein Wahlkampf gefälligst in einer Landessprache geführt werden müsse. Avdili verpasst die Wahl in den Kantonsrat, aber 2018 schafft er den Einzug in den Gemeinderat, wo er schon bald die Finanzkommission präsidiert.

Nun also: Parteichef. Er habe sich das Amt verdient, sagt Avdili. «Ich habe die Ochsentour gemacht, mich viel im Hintergrund für die Partei engagiert.» Was seine künftige Aufgabe angeht, so ist Avdilis Ausgangslage komfortabel, wenn man den Zustand der freisinnigen Stadtpartei mit jenem in anderen Städten vergleicht: Die Zürcher FDP hat bei den Kommunalwahlen im vergangenen Februar Wähleranteile und Sitze gewonnen, zum zweiten Mal in Folge. Und doch gebe es noch viel Luft nach oben, sagt Avdili.

Avdili hat eine klare Vorstellung davon, wohin er mit der FDP will. Es reiche nicht, im rot-grünen Zürich die bürgerliche Minderheit anzuführen. «Wir müssen wieder den politischen Lead übernehmen. Wir müssen die Partei sein, die in der Stadt den Takt vorgibt.» Dazu muss die FDP weiter wachsen. Und um neue Wähler zu gewinnen, denkt Avdili auch an Menschen wie sich selbst: Schweizerinnen und Schweizer mit ausländischen Wurzeln, auf dem Balkan und anderswo.

Es sei ein Irrtum zu glauben, dass sich diese Leute besonders zu linken Parteien hingezogen fühlten. Gerade was die albanischstämmige Community angehe, wisse er: «Der Ehrgeiz ist bei diesen Leuten gross. Sie sind noch nicht in der postmaterialistischen Phase, in der sich manche befinden, die schon seit Generationen im Wohlstand leben. Es sind Leistungsträger mit liberalen, freiheitlichen Werten, die Teil einer starken Wirtschaft sein wollen.» Im Freisinn fühlten sich diese Leute besser aufgehoben als in einer SP. «Da liegt für uns viel Potenzial brach. Doch wir müssen ihnen zeigen, dass wir offen für sie sind.»

Avdili hat damit im Kleinen begonnen. Er hat albanischstämmige FDP-Sympathisanten mit einer Whatsapp-Gruppe vernetzt, er ist regelmässig an Anlässen in der Community unterwegs. Als die Zürcher Kantonsregierung mitten in der Pandemie das Alba-Festival auf dem Hardturmareal absagte, wehrte er sich öffentlich für die Organisatoren und gegen eine Stigmatisierung der Balkan-Community.

Er sieht ein «Demokratiedefizit»

Die Zürcher FDP wäre nicht die erste Partei, die sich um diesen Teil der Bevölkerung bemüht – mit unterschiedlichen Ansätzen. Die SP hievt vielerorts Migrantinnen und Migranten auf ihre Wahllisten, und in Luzern rief die CVP schon vor zehn Jahren eine Kosovaren-Vereinigung ins Leben.

Ein Problem für alle Parteien ist allerdings, dass viele dieser Menschen gar nicht wählen dürfen. Ein Drittel der Einwohnerinnen und Einwohner von Zürich sind Ausländer, und bei den 30- bis 39-Jährigen machen die Ausländer inzwischen die Hälfte aus. «Unabhängig davon, wie diese Menschen wählen würden: Das ist ein Demokratiedefizit», sagt Avdili.

Er kämpft deshalb für tiefere Hürden für die Einbürgerung, besonders für junge Ausländerinnen und Ausländer, die in der Schweiz aufgewachsen sind. Im Gemeinderat hat er gemeinsam mit SP-Ratskollegin Nadia Huberson erreicht, dass die städtischen Einbürgerungsgebühren für unter 25-Jährige abgeschafft werden.

In der SP hofft man, dass die FDP unter Avdili noch weiter geht – und Hand bietet zu einer Debatte über das Ausländerstimmrecht. «Seine progressive Haltung in dieser Frage könnte vieles in Bewegung setzen», sagt Davy Graf, Fraktionschef der SP im Zürcher Gemeinderat, der Avdili als «sehr engagiert und dossierfest» erlebt (aber gelegentlich Mühe hat mit dessen «Law-and-Order-Seite», wenn es etwa um das Thema der Zwischennutzungen in der Stadt geht).

Und Avdili will die Debatte auch innerhalb der FDP führen, zumindest was das Stimmrecht auf kommunaler Ebene betrifft. Gleichzeitig verweist er auf einen anderen migrationspolitischen Erfolg: Das Stadtparlament beauftragte die Stadt vergangenes Jahr damit, anonyme Bewerbungsverfahren durchzuführen, um Diskriminierungen von Bewerberinnen und Bewerbern mit fremden Namen zu verhindern. Auslöser war ein Vorstoss, den Avdili gemeinsam mit der GLP-Gemeinderätin Isabel Garcia eingereicht hatte.

Eine Revolution ist das noch nicht. Aber im Minimum: ein Stilwechsel.

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