«Auf dem Platz wurde jeder schon beleidigt» – weshalb der FC Hakoah und der FC Kosova für einmal miteinander statt gegeneinander spielen
Am Sonntag haben sich zwei ungleiche Zürcher Klubs zum Fussballspiel getroffen. Das Resultat stand dabei nicht im Vordergrund.
Die Buben in den roten und den weissen Fussballleibchen keuchen noch. Gerade ist ihr Spiel abgepfiffen worden. Die Eltern halten lobende Worte und warme Jacken parat. Und jetzt dürfen die Jungs schon wieder grosse Augen machen. Mario Fehr hat ihnen nämlich ein Geschenk mitgebracht. Jedem der D-Junioren drückt der Regierungsrat und Sportdirektor einen Frisbee in die Hand, gesponsert vom Kanton Zürich. Auch Fehr ist zufrieden mit der Leistung, die die Kleinen auf dem Platz gezeigt haben.
Kurz darauf ist das ganze Feld 1 auf dem Zürcher Sportplatz Juchhof voll von kreischenden Elf- und Zwölfjährigen, die sich gegenseitig ihre neuen Plastikscheiben zuwerfen.
Dann sind die Erwachsenen an der Reihe. Die Mannschaften des FC Hakoah und des FC Kosova treffen sich an diesem Sonntagnachmittag zum Freundschaftsspiel, gleich wird angepfiffen. Bevor es losgeht, kommt jedoch ein ernstes Thema zur Sprache. An diesem Spieltag geht es nämlich weniger um sportliche Rivalität als um das Miteinander.
Gemeinsam wollen der jüdische FC Hakoah und der FC Kosova, Klub der muslimisch geprägten albanischen Diaspora, ein Zeichen setzen. Sie wollen beweisen, dass der Fussball Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund wirklich zusammenbringen kann. Sie wollen zeigen, dass es im Sport mehr auf die Gemeinsamkeiten ankommt als auf die Unterschiede.
Vor dem Spiel der beiden Herrenmannschaften gibt es darum eine Art Podiumsgespräch zum Thema Rassismus und Antisemitismus im Breitensport. Es ist auf eine Viertelstunde angesetzt, und mehr Zeit braucht es auch nicht. Denn Dina Wyler, Sonja Rueff-Frenkel, Mario Fehr und die beiden Klubpräsidenten sind sich einig: Diese Themen bei den Amateuren anzusprechen, ist nicht nur wichtig, es lohnt sich auch.
Der Fussball ist eine geteilte Leidenschaft
Dina Wyler ist Geschäftsführerin der Zürcher Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA). Sie sagt: «Wenn wir dort hingehen, wo die Leute ihre Freizeit verbringen, können wir sie am besten erreichen.» Beim Sport würden Inklusion – aber eben auch Diskriminierung – Spiel für Spiel gelebt. Darum komme dem Sport eine Vorbildrolle zu.
Der Sport, er wird in internationalen Kampagnen gern als Antwort auf alle möglichen Probleme dargestellt. Von Respekt und Fairness ist dann oft die Rede, von der Gleichheit aller Spieler und von allerlei anderen Tugenden. Aber auf dem Zürcher Juchhof, da braucht es keine grossen Worte. Da kommt man zusammen und spielt miteinander. Ganz selbstverständlich.
«Rassismus und Antisemitismus erscheinen oft als abstrakte Themen. Aber auf dem Platz, da wurde jeder schon einmal beleidigt, das kennt man», sagt Dina Wyler. Darum will sie die Thematik jetzt gewissermassen von unten her angehen.
Dass das am Sonntag so gut funktioniert, das erklärt sich Përparim Avdili so: «Die 22 Spieler auf dem Platz teilen im Fussball eine Leidenschaft. Woher sie kommen und woran sie glauben, das ist während der Partie vollkommen unwichtig. Wenn man selber auf dem Feld steht, spürt man das.» Avdili sitzt für die FDP im Zürcher Gemeinderat und beim FC Kosova im Vorstand.
Aber am Sonntag, da spielt Avdili ausnahmsweise im weissen Trikot des FC Hakoah: Die Teams haben sich vor dem Spiel gemischt. So spielen Hakoah-Stürmer mit Kosova-Verteidigern in einer Mannschaft und umgekehrt. «Vielfalt und Respekt sind unseren beiden Vereinen ein Anliegen. Da wäre es doch unsinnig, gegeneinander anzutreten und sich am Ende über einen Sieg zu freuen», sagt Jeffrey Sachs, der Präsident des FC Hakoah.
Mit einem anderen Leibchen zu spielen, das scheint hier niemandem etwas auszumachen. Die Männer ziehen ihre Trikots über, und dann geht es los. Hauptsache, Fussball spielen, scheinen sie sich zu sagen. Einige der Spieler wissen bis zum Ende der Partie selbst nicht mehr richtig, mit wem sie eigentlich im Verein sind und mit wem nicht.
Sie wollen lieber zeigen, wie es richtig geht
So tolerant wie auf dem Juchhof geht es längst nicht auf allen Fussballplätzen zu. Rassistische und antisemitische Vorfälle machen im Schweizer Fussball immer wieder Schlagzeilen. Diesen August sorgte beispielsweise ein Fall aus St. Gallen für Entrüstung.
Damals bezeichneten Anhänger des Heimteams Timothy Fayulu, den schwarzen Torhüter des FC Sion, als «Affen». Die Schweizer Fussballliga hat ein Disziplinarverfahren gegen den FC St. Gallen eröffnet, Anfang November aber wieder eingestellt – obwohl mittlerweile ein Verdächtiger ermittelt werden konnte.
Jeffrey Sachs und Përparim Avdili kennen derartige Ausfälligkeiten nur zu gut aus eigener Erfahrung. Aber beschweren mögen sie sich darüber nicht mehr. Lieber unternehmen sie etwas gegen die schwelenden Ressentiments auf den Fussballplätzen – indem sie spielen und vorzeigen, wie man es besser macht.
Die Idee zum Freundschaftsspiel kam Përparim Avdili bei einem Mittagessen mit seiner Parteikollegin, der FDP-Kantonsrätin Sonja Rueff-Frenkel. Sie ist jüdischen Glaubens, er hat albanische Wurzeln. Während des Essens überlegten sie, wie sie ihre beiden Communitys zusammenbringen könnten – und kamen bald auf den Fussball zu sprechen. Zusammen Fussball zu spielen, das könnte ein Anfang sein, sagten sie sich.
Das war vor drei Wochen. Und dann ging alles ganz schnell. Als Schirmherrin des Anlasses stellte sich die Stiftung GRA zur Verfügung. Deren Geschäftsführerin, Dina Wyler, war von Rueff-Frenkels und Avdilis Idee umgehend überzeugt und machte sich an die Organisation des Panels zwischen dem Spiel der Junioren und jenem der Herrenmannschaften. Sie sagt: «Alle, die ich angefragt habe, waren sofort sehr engagiert. Das war für mich eine schöne Erfahrung.»
Trotz garstigen 8 Grad, konstantem Nordwind und Nieselregen kommen am Sonntag etwa fünfzig Personen, um sich das Freundschaftsspiel zwischen dem FC Hakoah und dem FC Kosova anzuschauen. Die Stimmung auf dem Sportplatz Juchhof ist familiär, man kennt sich und sagt Du zueinander. Ein älterer Herr bittet Mario Fehr um einen Gefallen, jemand anderes holt Kaffee für eine ganze Runde.
Für Jeffrey Sachs ist dieser Sonntag ein Erfolg. Er freut sich über das grosse Interesse und denkt schon an weitere solche Veranstaltungen. «Es wäre schön, wenn wir nächstes Jahr mehrere solche Spiele mit ganz vielen anderen Vereinen durchführen könnten», sagt er. Mehr kann er aber noch nicht sagen. Und überhaupt muss er jetzt auf den Platz.
Das Spiel geht am Ende mit 3:1 für die Männer im weissen Dress aus. Gewonnen, da ist man sich einig, haben aber ohnehin alle.