Mein Votum als Video aus der Ratsdebatte des Gemeinderates der Stadt Zürich vom 25. November 2020

Nehmen wir an, zwei Freundinnen – Claudia und Blerta – wachsen gemeinsam in einem Wohnquartier in Altstetten auf. Sie wohnen bereits als Kinder in der gleichen Siedlung, weshalb sie sich kennen lernen. Dann gehen sie zusammen in den Kindergarten und anschliessend auch in die Primarschule im Quartier. Nachdem beide gleichzeitig die Sekundarschule abschliessen, entscheiden sie sich für eine KV-Lehre. Die Wege trennen sich hier zwar zum Teil, da sie nicht im gleichen Betrieb die Lehre starten, aber Freundinnen fürs Leben werden sie bleiben. Während der Lehre wohnen beide noch bei ihren Eltern und können so Geld sparen. Beide wohnen noch dort, wo sie aufgewachsen sind, in einer Wohnsiedlung in Altstetten. Beide sind fest mit ihrem Quartier und mit der Stadt Zürich verwurzelt und beide haben ein Heimatgefühl entwickelt. Ihren 18. Geburtstag feiern sie gemeinsam, der im Frühling wenige Wochen auseinanderliegt. Im Herbst darauf erhält Claudia im Rahmen der politischen Abstimmungen Post, Blerta aber nicht. Claudia ist als Schweizerin auf die Welt gekommen, Blerta nicht. Nachdem die beiden Freundinnen ihre ersten 18 Lebensjahre gemeinsam am gleichen Ort verbracht haben und alles parallel zu laufen schien, wird für Blerta mit 18 klar: Sie ist nicht gleich wie ihre Freundin Claudia. Sie darf nicht einfach so abstimmen, am politischen Prozess teilnehmen. Das Problem für Blerta geht sogar weiter. Denn, damit sie zum gleichen politischen Recht wie Claudia kommt, muss sie durch ein bürokratisches Einbürgerungsverfahren, was mit Kosten verbunden ist. Die Kosten in ihrem konkreten Fall belaufen sich auf 650 Franken, da sie noch unter 25 ist. Die Höhe der Kosten mag als nicht dramatisch erachtet werden. Blerta muss aber 650 Franken mehr bezahlen als Claudia, um die gleichen Rechte zu erhalten, obwohl sie sich offensichtlich voneinander nicht unterscheiden.

Diese Ungleichbehandlung hat mich dazu motiviert, im Juni einen Vorstoss einzureichen. Darin fordern wir, dass die Einbürgerungsgebühren für unter 25-Jährige in der Stadt Zürich vollständig gestrichen werden. Damit soll erreicht werden, dass für junge Menschen in unserer Stadt Hürden zur Einbürgerung gesenkt werden. Denn wenn auch nicht dramatisch hoch, so sind Kosten in diesem Umfang für einen jungen Menschen eine Belastung. Eine liberale Gesellschaft setzt voraus, dass Chancengleichheit für jeden Einzelnen herrscht. Der Mensch als Individuum soll basierend auf seiner persönlichen Leistung in einer gleichberechtigten Ausgangslage beurteilt werden, nicht aber aufgrund einer zufälligen Herkunft oder aufgrund der Einwanderungsgeschichte der Eltern. Kinder unserer Gesellschaft, die hier zur Welt kommen oder aufwachsen, hier sozialisiert werden, zur Schule gehen und hier zu Hause sind – für diese Menschen stehen wir als Gesellschaft in der Pflicht, ihnen früh mitzuteilen, dass sie ein gleichwertiges Mitglied unserer Gesellschaft sind. Wir müssen als Gesellschaft weiterdenken, indem wir Blerta stellvertretend für viele junge Menschen in unserer Stadt an ihrem 18. Geburtstag vermitteln, was sie schon bis dahin zu glauben schien: Sie gehört hierhin, das ist ihre Heimat. Die kostenfreie Einbürgerung auf städtischer Ebene ist ein erster Schritt, löst jedoch noch nicht alle Herausforderungen für diese Jungen. Aber es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, der nötig ist – wenn auch symbolisch. Ich freue mich daher, dass die Motion sowohl vom Stadtrat entgegengenommen als auch grossmehrheitlich mit 99 Stimmen durch den Gemeinderat an der Sitzung vom 25. November 2020 überwiesen wurde.

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